Herdenschutzhunde

Herdenschutzhunde Sie interessieren sich für einen Herdenschutzhund – von den Fans liebevoll Herdies genannt? Natürlich sollten Sie sich bei jedem Hund fragen, ob Ihr Leben mit den Rasseeigenschaften des Tieres zusammenpassen, jedoch ist dies bei einem Herdenschutzhund besonders relevant, denn diese Tiere erreichen mit bis zu 70 cm Schulterhöhe nicht nur eine beeindruckende Größe, sie haben auch sehr spezielle Eigenschaften. Herdenschutzhunde sind sehr ursprüngliche Hunde, deren Eigenschaften nicht wie bei vielen Moderassen dem Leben des Menschen angepasst wurden. Zudem sind es aktive Arbeitstiere, deren Aufgabe ursprünglich darin besteht, die frei lebenden Herden vor Fressfeinden wie Wölfen zu schützen. Dies beinhaltet nicht grundsätzlich einen Kampf, denn der Schäfer möchte nicht regelmäßig in ein neues Tier investieren, weil sein alter Hund von einem Wolfsrudel zerfleischt wurde, im Extremfall wird der Herdenschutzhund aber den Feind angreifen. Welche Eigenschaften bringt ein Herdenschutzhund nun mit, um diese Aufgabe zu erfüllen? Herdenschutzhunde sind Spätentwickler: Ein Herdenschutzhund erreicht das Erwachsenenalter erst mit 4-5 Jahren, während dies bei anderen Hunden in der Regel schon mit zwei Jahren einsetzt. Dies bedeutet einerseits, dass sich mit dem Einsetzen des Erwachsenseins noch Verhaltensweisen massiv verändern, andererseits muss sich der Halter immer wieder bewusst machen, dass sein 3-jähriger Hund mit 50 Kilo noch ein pubertierender Teenager ist und sich so verhält. Positiv ist, dass Herdies trotz ihrer Größe oft eine hohe Lebenserwartung haben und gerne auch mal 12 oder 13 Jahre alt werden. Herdenschutzhunde sind misstrauisch: Auch wenn die meisten Herdies wie große Teddybären aussehen und zum Kuscheln einladen, ist das meist keine gute Idee. Herdenschutzhunde sind allem Fremden gegenüber misstrauisch – egal ob Lebewesen, Geräusch oder Gegenstand. Dies ist nötig, um die Herde zu schützen, denn sie können nicht lange abwarten, ob das sich Nähernde Freund oder Feind ist. Wenn etwas ihr Misstrauen erweckt hat, dann wird es bedingungslos verbellt. Dies klingt auf dem ersten Blick zwar nervig, aber sonst harmlos. Weit gefehlt. Ein Herdenschutzhund wird sich vor dem „Feind“ aufbäumen, knurren, hysterisch bellen, die Zähne fletschen und vor ihm herumspringen, bis der „Feind“ das Weite sucht. Wenn der „Feind“ nun gerade ein Fahrradfahrer ist, werden Sie zwar wissen, dass Ihr Hund nicht zubeißen wird, der Fahrradfahrer aber bestimmt nicht. Das Bellen werden Sie Ihrem Herdie nie abgewöhnen können, jedoch gelingt es durch eine gute Erziehung, eine umfangreiche Sozialisation und eine souveräne Führung, dieses Verhalten zu steuern. Innerhalb seines „Rudels“ ist der Herdenschutzhund bei einer guten Bindung sehr liebevoll und verschmust – eben ein richtiger Teddybär. Herdenschutzhunde sind territorial: Herdenschutzhunde sollen bewachen. Aber im Gegensatz zu anderen Wachhunden endet ihr Gebiet nicht an der Zaungrenze. Herdies bewachen auf Sichtweite. Dies bedeutet, dass auch der Hund auf der anderen Straßenseite so lange verbellt wird, bis er nicht mehr zu sehen ist. Zudem ist es für einen Herdenschutzhund völlig normal, mehrere Territorien zu haben. Immerhin wandert die Herde ja auch. Also wird er das Büro und die Personen darin genauso bewachen wie das Zuhause und die Familie. Herdenschutzhunde sind selbstständig und entscheiden alleine, was sie wollen und was nicht: Es ist ein Mythos, dass Herdenschutzhunde nicht erzogen werden können, denn kein Hirte will ein Tier, das nicht kontrollierbar ist. Jedoch besteht die Aufgabe eines Herdies darin, eigenständig Entscheidungen zu treffen. Und dies macht er auch im Alltag. Das kann dazu führen, dass Ihr Herdenschutzhund beim Training Sie genervt anguckt, wenn Sie das dritte Mal ein „Sitz“ von ihm fordern, und sich stattdessen hinlegt und nicht mehr bewegt. Genauso entscheidet er, ob er den Knochen gerade abgeben will, sich bürsten lässt oder Ihnen erlaubt, seine verletzte Pfote anzusehen. Er wird Ihnen sein Missfallen zeigen, indem er weggeht, knurrt oder Sie sogar anfletscht. Auch ein Biss in die nervende Bürste passiert häufig. Viele Herdenschutzhunde sind beim Tierarzt nur mit Maulkorb zu behandeln. Der größte Fehler in diesem Fall ist, auf den längst veralteten Dominanzbegriff zurückzugreifen und den Hund zu unterwerfen und zu zwingen. Sie zerstören damit die Bindung zu Ihrem Hund und er wird sich im Zweifelsfall auch wehren und nicht nur die Bürste beißen. Respektieren Sie diesen Wesenszug als ein Rassemerkmal eines Herdenschutzhundes und lassen Sie ihn in Ruhe. Je enger Ihre Bindung und das Vertrauen ist, desto mehr werden Sie bei Ihrem Hund dürfen. Herdenschutzhunde sind nachtragend: Ein Herdenschutzhund vergisst nicht. Wenn er eine Situation oder ein Lebewesen einmal negativ abgespeichert hat, wird er dies immer als „Feind“ sehen und dementsprechend reagieren. Wird er als Junghund zum Beispiel von einem anderen Hund ungerechtfertigt attackiert, wird er auch Jahre später bei jeder Begegnung auf diesen Hund losgehen. Haben ihn Kinder auf einem Fahrrad geärgert, wird er, sobald er im Hintergrund ein Fahrradgeräusch hört, das für ihn eben noch neutrale Kind neben ihm verbellen – und wie das aussehen kann, steht weiter oben beschrieben. Natürlich ist es möglich, die negativen Erlebnisse positiv zu prägen, doch bedarf das viel Zeit und Geduld. Bestrafen Sie Ihren Hund für dieses Verhalten, wird dies seine Abneigung nur steigern, denn Ihr Hund wird Ihre Strafe nicht auf sich beziehen, sondern sich sagen: „Das Gegenüber ist eh blöd, und wenn mein Besitzer dann auch noch jedes Mal aggressiv wird, ist das ja noch blöder als gedacht.“ Herdenschutzhunde sind Rudeltiere: Natürlich ist es möglich, einen Herdie alleine zu halten, doch sollten Sie im Hinterkopf haben, dass eine Herde auch nicht von einem einzelnen Hund bewacht werden kann. Herdenschutzhunde stehen fremden Hunden meist neutral gegenüber, sind im eigenen Rudel aber sehr verträglich. Jedoch ist es einfacher, einen Herdenschutzhund als neuen Hund einzuführen. Ist dieser schon im Haus, muss eine Vergesellschaftung langsam durchgeführt werden, denn der Herdie wird seine Ressourcen wie Futter, Spielzeug, Schlafplatz dem neuen Hund gegenüber verteidigen, bis er diesen als Mitglied des Rudels anerkennt. Herdenschutzhunde sind sehr sensibel: Nach all dem Angeführten ist es kaum zu glauben, aber Herdenschutzhunde sind große Sensibelchen. Daher benötigen sie eine konsequente, aber durchgehend positiv aufgebaute Erziehung. Wird mit Strenge, Druck oder Strafe gearbeitet, wird Ihr Tier unausgeglichen, aggressiv und bricht im Ernstfall die Bindung zu Ihnen ab. Ihr Herdie ist zudem ein Meister darin, Sie zu lesen. Daher müssen Sie sich nicht wundern, wenn Ihr Hund, sobald Sie nicht in der Lage sind, die souveräne Leitung zu übernehmen, dies für Sie übernimmt. Das kann bedeuten, dass Ihr Hund Ihre Freunde nicht in die Wohnung lässt, wenn Sie krank im Bett liegen. Das kann aber auch heißen, dass keiner außer Ihnen beiden auf die Couch darf, wenn Sie zugelassen haben, dass Ihr Hund die Chefrolle übernimmt. Ein Herdenschutzhund ist definitiv kein Hund für einen Menschen, der unsicher ist und einen großen Hund als Schutz sucht. Ein Fazit: Ein Herdenschutzhund ist ein sensibler, eigenständiger, selbstbewusster, misstrauischer und wachsamer Hund, der stets seine Ressourcen im Auge hat. Er braucht einen Besitzer, der in ihm ein Familienmitglied sieht, ihm mit Respekt begegnet und akzeptiert, dass der Hund eigene Bedürfnisse und Befindlichkeiten hat, die er auch deutlich zeigt und auslebt. Sein Besitzer muss klare, aber faire Grenzen setzen, seinem Hund jedoch auch Freiräume lassen. Der Umgang mit dem Hund muss gewaltfrei und positiv besetzt sein. Zudem sollte der Besitzer eine ausgeglichene Persönlichkeit besitzen und verantwortungsbewusst mit den Verhaltensweisen des Hundes umgehen, die nicht unbedingt auf ein Leben in eng besiedelten Gebieten ausgerichtet sind. Idealerweise darf der Hund in einem Haus mit Garten und belltoleranten Nachbarn leben. Sehen Sie davon ab, sich für einen Herdenschutzhund zu entscheiden, wenn Sie einen Beschützer oder reinen Wachhund suchen, der Meinung sind, Ihr Hund hat sich Ihnen unterzuordnen, oder Ihnen konsequente (nicht gewaltvolle) Erziehung nicht so wichtig ist. Dann wird das Leben mit einem Herdenschutzhund für beide Seiten in einer Katastrophe enden. Warum soll man sich denn überhaupt für einen so schwierigen Hund entscheiden? Herdenschutzhunde sind bei richtiger Haltung und Erziehung traumhafte Wegbegleiter – souverän, ausgeglichen und liebevoll. Nicht umsonst gibt es viele Hundehalter, die sich ein Leben mit einer anderen Rasse nicht mehr vorstellen können.

Autorin: Maike Vos